Der – aus dem römischen Recht stammende – Grundsatz, dass bei einem Vertrag, in dem etwas falsch bezeichnet ist, das wirklich Gewollte Vorrang hat vor dem irrtümlich Geschriebenen, gilt auch für notarielle Verträge – insbesondere für Kaufverträge über Grundstücke oder Eigentumswohnungen. Hat der Notar also einen Fehler gemacht und die Kaufsache falsch bezeichnet, ist nicht der Wortlaut der Urkunde maßgeblich, sondern das wirklich Gewollte. Die Beurkundung ist trotzdem gültig. Die falsche Bezeichnung (“falsa demonstratio”) schadet also nicht (“non nocet”). Der BGH bestätigt hier seine bisherige gleichlautende Rechtsprechung, betont aber zugleich, dass es feststehen müsse, dass beide Parteien die Kaufsache irrtümlich bezeichnet hätten. Es genügt nicht, wenn eine Partei (meistens der Verkäufer) den tatsächlichen Grenzverlauf kennt und sich bei einer Ortsbesichtigung darüber bloß ausschweigt. Es genüge auch nicht, so der BGH, wenn bei einer Ortsbesichtigung keine Partei den genauen Grenzverlauf in der Natur gekannt habe und sich beide beim Ortstermin lediglich die örtlichen Gegebenheiten angeschaut hatten. “Fehlt” dann an der entscheidenden Grenze bloß ein Zaun, so führt allein das noch nicht zu einem beidseitigen Irrtum – insbesondere dann nicht, wenn das Gelände jenseits des “fehlenden” Zauns einem anderen Eigentümer als dem Verkäufer gehört. In einem solchen Fall kommt also die falsa-demonstratio-Regel (dass nicht das im Grundbuch bezeichnete Flurstück verkauft wird, sondern das, welches die Parteien im Ortstermin als “Kaufgrundstück” bezeichnet haben) nur in Frage, wenn das Gericht feststellen kann, dass beide Parteien eine ganz bestimmte Fläche als verkauft ansahen – und diese vom Grundbuchstand abweicht. Scheint solches hiernach bei dem Verkauf von Wiesenland schwierig, dessen Erwerb auch bei abweichendem Grenzverlauf denkbar ist, so kann es beim Verkauf einer Eigentumswohnung schon eher vorkommen, wenn diese anders gebaut wurde als es den Aufteilungsplänen entspricht, die dem Grundbuch zugrunde liegen. So selten ist es wohl nicht, dass der Bauträger das Objekt abweichend von den Plänen errichtet – zum Beispiel, weil sich ein Käufer ein größeres Badezimmer oder ein Eckzimmer mehr wünscht. Dass es hier zur Anwendung der “falsa-demonstratio-Regel” kommt, bleibt dennoch extrem unwahrscheinlich: denn wenn der Bauträger verkauft, kennt er in der Regel die Pläne und weiß daher um die Abweichung. Verkauft aber ein Rechtsnachfolger, so ist dieser meist nur Eigentümer einer Wohnung (und nicht auch noch der benachbarten Wohnung, auf deren Kosten das Badezimmer vergrößert oder das Eckzimmer genommen wurde). Treffen aber beide Voraussetzungen ausnahmsweise zu – etwa weil ein Käufer aus Platzgründen zwei nebeneinander liegende Wohnungen für sich erworben hatte und später eine davon verkauft, oder weil ein Investor aus einer Insolvenzmasse mehrere Wohnungen aufkauft und dann einzeln weiter veräußert. In einem solchen Fall wird die Ortsbesichtigung genügen, damit sich beide Parteien über den exakten Umfang des Kaufgegenstandes einig sind. In dem Fall werden sie nicht mehr und nicht weniger als die tatsächlich vorhandene Wohnung verkaufen wollen. Hat also der Bauträger etwa ein Badezimmer größer gebaut als es den Plänen entspricht, so wird ein Kaufvertrag zwischen einem (nicht eingeweihten) Rechtsnachfolger des Bauträgers und einem Käufer die ganze faktische Wohnung umfassen – einschließlich der Badewanne, die sich grundbuchmäßig womöglich in der Nachbarwohnung befindet. Ein solcher Fall ist in meiner Praxis tatsächlich vor kurzem vorgekommen und konnte einvernehmlich auf der Basis der “falsa-demonstratio-Regel” gelöst werden.
BGH, Urteil vom 23.06.2023, Aktenzeichen V ZR 89/22