Eine noch weitgehend ungelöste Konstellation entsteht, wenn im Anschluss an einen Erbvertrag der künftige Erblasser einer Person etwas schenkt, die laut Vertrag gerade nicht erbberechtigt ist, aber einen Pflichtteilsanspruch hat.
Der Klassiker: als Erben sind die gemeinsamen Kinder eingesetzt; nach Tod der Mutter heiratet der Vater aber wieder. Nun ist es dem Vater vertragsgemäß untersagt, seine neue Frau als Erbin einzusetzen, und eigentlich ist es ihm (in gewissen Grenzen) auch untersagt, ihr größere Dinge zu schenken, falls dies die Vertragserben beeinträchtigt. Nun ist es nicht hinreichend geklärt, ob eine Schenkung die Vertragserben womöglich deshalb nicht beeinträchtigt, weil die Schenkung in etwa den Wert des späteren Pflichtteilsanspruchs hat und die Vertragserben diesen Anspruch ohnehin erfüllen müssten. Der Teufel sitzt aber im Detail, und fast nie entspricht die Schenkung wertmäßig dem Pflichtteilsanspruch. Im übrigen ist der Pflichtteilsanspruch nur auf Geld gerichtet, der Herausgabeanspruch, den die Kinder (die Vertragserben) dereinst geltend machen könnten, wäre aber auf die Rückgabe des Geschenks gerichtet, etwa eine Immobilie, zum Beispiel das Elternhaus der Kinder, das diese auch gegen Geld nicht gern aufgegeben hätten. Vor allem ist unklar, was mit dem Pflichtteilsanspruch der neuen Frau passierte, wenn ein Gericht den Herausgabeanspruch der Kinder abwiese. Eine Abweisung der Klage der Kinder wäre ja nur zu rechtfertigen, wenn damit zugleich der Pflichtteilsanspruch der Stiefmutter erledigt wäre. Der Bundesgerichtshof hatte bisher eine solche einheitliche Lösung verfochten, ohne aber zu erklären, wie eine Aufrechnung funktionieren könnte, ohne dass die Stiefmutter ihr Pflichtteilsrecht überhaupt geltend gemacht hat.
Das Landgericht Bonn dreht daher nun den Spieß um: Da der Pflichtteil der Stiefmutter durch den Prozess nicht beeinträchtigt sei, insbesondere eine Aufrechnung von Pflichtteil und Schenkung unmöglich sei, habe die Schenkung an die Stiefmutter die Kinder sehr wohl beeinträchtigt. Es sei ja zu gewärtigen, dass die Stiefmutter die Schenkung behält und später noch ihren Pflichtteil geltend macht. Also könnten die Kinder den geschenkten Gegenstand herausverlangen. Der Stiefmutter sei es unbenommen, anschließend oder daneben ihren Pflichtteil zu verlangen. Für die Praxis bedeutete dies eine Erleichterung, wenn es sich nur durchgesetzt hätte. Bis dahin ist die Rechtsposition der Kinder nicht beneidenswert: Solange die Rechtsprechung des BGH noch besteht, laufen sie Gefahr, dass das für sie zuständige Gericht den Herausgabeanspruch im Hinblick auf den Pflichtteil zurückweist – ohne der Stiefmutter zugleich ihren Pflichtteilsanspruch zu entwinden. Dann stehen die Kinder mit leeren Händen da, müssen immense Prozesskosten bezahlen und dann womöglich noch den Pflichtteil.
LG Bonn, Urteil vom 17.06.2016, Aktenzeichen 1 O 388/14